Der Stieglitz ist an jedem Platz
adrett und bunt gekleidet,
was ihn von Amsel oder Spatz
sehr deutlich unterscheidet.
Er überstrahlt auch allemal
die Puten und die Hähnchen
und geht an Vogelkarneval
sehr gern als Deutschlandfähnchen.
Der Stieglitz ist an jedem Platz
adrett und bunt gekleidet,
was ihn von Amsel oder Spatz
sehr deutlich unterscheidet.
Er überstrahlt auch allemal
die Puten und die Hähnchen
und geht an Vogelkarneval
sehr gern als Deutschlandfähnchen.
Der Kranich zieht wie eine Eins
im Spätherbst nach Südwesten
und hält z. B. hinter Mainz,
ein wenig sich zu mästen.
Und wären zwei Kolonnen schlau,
die zueinander passten,
dann könnten sie beim FSV
als Elf im Stadion rasten.
Er räkelt sich im Sonnenschein
wie Playboys in Prospekten,
und stellt der Appetit sich ein,
dann schnappt er nach Insekten.
Zu stillen seinen Beutetrieb,
das ist für ihn Routine,
ein so geschickter, schriller Typ
fängt jede flotte Biene.
Strahlende Ruh
floss vom Himmel herab
und hat besucht meine Seele.
Strahlende Ruh
deckt die Gegend nun ab,
Wasser und Land und Gefühle.
Zauberin Stille,
wie strahlst du so heiß!
Mache mit magischem Gleißen
in der Idylle
der Schwäne, die weiß,
auch diesen schwarzen zum weißen.
(Nachdichtung aus dem Russischen von Manfred Lieser)
Er pflegt die Beute akkurat
am Rand von Wald und Wiesen
auf Dornen oder Stacheldraht
zunächst mal aufzuspießen.
Für manche ist er eine Macht,
ein Herrscher, ein Genießer,
der über seinen Reichtum wacht,
für andre nur ein Spießer.
Die Dohle nimmt sehr gern Quartier
in Schlössern und Ruinen,
auch Schwarzspechthöhlen können ihr
als Wohnbehausung dienen.
Und ist auf höherem Niveau
nichts frei zu ihrem Wohle,
nimmt sie ein Erdloch irgendwo,
doch niemals eine Dole.
Der Kuckuck hat ein großes Maul
und schmäht die eignen Kinder.
Als Vater ist das Männchen faul,
als Mutter sie nicht minder.
Sie legt die Eier kurzerhand
zu anderen ins Bette.
Der Kuckuck, nicht der Mensch, erfand
die Kindertagesstätte!
Wladimir A. Pajewski: An der Schwelle zur Erleuchtung (На пороге прозрения). Gedichte (auf Russisch). Renome, St. Petersburg, 2013, Paperback, 11,5×16,5 cm, ISBN 978-5-91918-256-6, 200 S.
Bezug beim Autor über http://www.stihi.ru/avtor/payevsky.
Warum soll an dieser Stelle ein Gedichtband besprochen werden, der noch dazu vollständig auf Russisch ist? Weil in vielen der Texte Vögel eine Rolle spielen, weil ein Kapitel der Kurischen Nehrung gewidmet ist, zu der die deutsche Ornithologie seit Gründung der ersten Vogelwarte (Rossitten, 1901) bis heute eine enge Beziehung hat, und weil der Autor ein interessantes Beispiel dafür gibt, dass es Wissenschaftlern keineswegs verboten ist, Emotionen zum Ausdruck zu bringen. In einem seiner Gedichte spricht er selbst von den „schablonenhaften Abgründen der Wissenschaft“, denen zu entfliehen er offenbar immer wieder das Bedürfnis hatte. Wladimir Alexandrowitsch Pajewski, geboren 1937 in St. Petersburg und heute dort wohnhaft, war seit 1961 Mitarbeiter des Zoologischen Institutes der Russischen Akademie der Wissenschaften, erst als Laborant, dann als Ornithologe der Biologischen Station Rybatschi auf der Kurischen Nehrung. 1968 promovierte er über das Territorialverhalten von Sperlingsvögeln auf dem Zug, 1987 folgte die Habilitationsschrift „Demographie der Vögel“.
Das vorliegende Buch enthält Texte, die zwischen 1955 und 2012 entstanden und thematisch gruppiert sind. Die Kapitel heißen u.a. „Vergängliches und Ewiges“, „Künstlerisches Schaffen“, „Mein St. Petersburg“, „Liebe und Ähnliches“, „Träume“, „Kurische Nehrung“, „Auf Wanderschaft“, „Die Vögel Shakespeares“, „Ironische Strophen“. Das letzte Kapitel enthält Übertragungen englisch- und polnischsprachiger Lyrik ins Russische. Pajewski ist stilistisch sicher, vielseitig und eigenständig. Insgesamt ein bemerkenswertes Buch von einem außergewöhnlichen Ornithologen!
Die Krähe baut so manches Nest,
das sie im Folgejahre
der Waldohreule überlässt
oder dem Falkenpaare.
Wer hätte jemals denn gedacht
von dieser Stadtbekannten,
es schlüge unter schwarzer Tracht
ein Herz für Asylanten!
Der Eichelhäher ist bekannt
ob seiner blauen Decken,
die manche Leute hinters Band
an ihre Hüte stecken.
Der Forstmann täte gut daran,
vor dieses Vogels Mühen,
der ganze Wälder säen kann,
besagten Hut zu ziehen.