Dohlen erkennen Menschen am Gesicht

Dohlen haben auf mich immer einen etwas listigen und verschlagenen Eindruck gemacht. Ihr scharfer, aber irgendwie indirekter Blick sowie ihre etwas ungelenke Fortbewegung am Boden sind wahrscheinlich der Grund dafür. Glücklicherweise werden Tierarten heute nicht mehr so vermenschlichend dargestellt, wie es noch zu Zeiten Alfred Edmund Brehms  der Fall war.

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Photo: D. Gassmann

Wie aber ticken Dohlen wirklich? Der Beantwortung dieser Frage sind nun Wissenschaftler der Universität Cambridge (Großbritannien) ein Stückchen näher gekommen. Ihr Interesse galt der Frage, inwieweit diese Vögel, denen man wie allen Rabenvögeln im Allgemeinen eine nicht zu unterschätzende Intelligenz zubilligt, menschliche Gesichter und eine eventuell von diesen ausgehende Bedrohung wahrnehmen können.
Gabrielle Davidson vom Psychologie-Department der renommierten britischen Gelehrtenschmiede verwendete zwei verschiedene Typen von Masken: die eines langhaarigen, jüngeren Mannes sowie die eines älteren, glatzköpfigen Mannes (wäre die Wissenschaftlerin mit diesen Masken in der Fußgängerzone einer beliebigen Stadt herumgelaufen, hätte sie vermutlich nicht wenige Zeitgenossen in die Flucht geschlagen; hier aber ging es ja um die Wirkung auf Vögel!). Die eine („neutrale“) Maske verwendete sie nur, wenn sie scheinbar absichtslos am Nistkasten der grau-schwarzen Vögel vorbeischlenderte. Die andere (die „Drohmaske“) jedoch zog sie sich nur dann über den Kopf, wenn sie die Nistkästen öffnete und die bereits geschlüpften Jungen herausnahm und ihr Gewicht maß und dokumentierte. Letzteres war eine schwerwiegende Störung, und es wurde dafür gesorgt, dass sich die Elternvögel die bei diesen Tätigkeiten getragene Maske einprägen konnten.

Nachdem die Vögel auf diese Weise die Gelegenheit gehabt hatten, bestimmte Erfahrungen mit den jeweiligen Masken zu verknüpfen, wurden im Folgenden die eigentlichen Exeperimente gestartet: die Forscherin bewegte sich mal mit der einen, mal mit der anderen Maske auf den Nistkasten zu. Es zeigte sich, dass die Dohlen beim Erscheinen der Drohmaske – offensichtlich zum Zwecke der Verteidigung ihrer Jungen – schneller zum Nistplatz zurückflogen als beim Sichtbarwerden der neutralen Maske. Das wird von der Cambridger Arbeitsgruppe als Hinweis darauf gewertet, dass Dohlen ihre möglichen Raubfeinde (Prädatoren) individuell am Gesicht unterscheiden können – zumindest, wenn es sich dabei um Menschen handelt.

Weiterhin experimentierten die Forscher mit zwei zusätzlichen Masken, die den bisher eingesetzten ähnlich sahen, allerdings eine andere Blickrichtung simulierten. Es zeigte sich, dass die Blickrichtung des Menschen (d.h. des potentiellen Feindes der Vögel) in unmittelbarer Nöhe des Nistplatzes zwar eine gewisse Rolle spielt – es gab eine Tendenz der Vögel, den direkten Blick als bedrohlicher zu empfinden als den abgewendeten Blick – , doch diese Resultate waren nicht signifikant.

Bleibt festzustellen: nicht nur „Facebook“ kann Gesichter erkennen – auch Dohlen können das! Und das kann sich auszahlen: Das individuelle Erkennen eines Prädators, der bereits als potentiell gefährlich wahrgenommen wurde, kann Schlimmeres verhindern. Und somit staunt man einmal mehr über die Cleverness der Dohlen.

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Photo: D. Gassmann

Literatur:

Davidson, Gabrielle L., Nicola S. Clayton, and Alex Thornton (2015): Wild jackdaws, Corvus monedula, recognize individual humans and may respond to gaze direction with defensive behaviour. Animal Behaviour 108: 17-24.

Das Tristan da Cunha-Archipel: Inselreich der ornithologischen Rätsel

Das Tristan da Cunha-Archipel – es gibt wohl kaum eine abgelegenere Inselgruppe. Mitten im südlichen Atlantik, mehr als zweitausend Kilometer von den Küsten Südafrikas bzw. Südamerikas entfernt, erhebt sich eine Reihe von Vulkankegeln aus dem Wasser, die sich einst über einem geologischen Hotspot formten. Die zu Ehren des portugiesischen Seefahrers Tristan da Cunha benannte und mit einem Durchmesser von ungefähr 11 Kilometer größte Insel beherbergt trotz aller Widrigkeiten sogar eine menschliche Ansiedlung. Die kleineren Inseln Gough, Nightingale und Inaccessible werden vor allem von Vögeln bewohnt.

Der Name des letztgenannten Eilands („Unzugänglich“) könnte die Abgelegenheit des Archipels auf dem Mittelatlantischen Rücken nicht besser zum Ausdruck bringen. Hier kommt im Übrigen der weltweit kleinste bekannte flugunfähige Vogel vor: die endemische Atlantis-Ralle Atlantisia rogersi.

Hausmäuse auf Abwegen bedrohen Albatrosse

Es verwundert nicht, dass diese geheimnisumwitterten Inseln auch für den Ornithologen, respektive die Ornithologin, einige hochkarätige Rätsel bereithalten. Zu diesen gehörte vor noch nicht gar so langer Zeit der Rückgang des Tristan-Albatrosses Diomedea dabbenena auf der Insel Gough. Die Art kommt ausschlieβlich auf den Inseln Tristan, Gough und Inaccessible vor. Das Schwinden der Albatrosbestände war lange Zeit ein Rätsel – jedenfalls so lange, bis britische und südafrikanische Vogelkundler während eines einjährigen Forschungsaufenthalts auf Gough den schaurigen Grund ausmachten: Hausmäuse (Mus musculus), die wahrscheinlich über englische Walfangschiffe auf die Insel gelangt waren, hatten sich kräftig vermehrt und zudem eine neue Nahrungsquelle erschlossen: sie ernähren sich von den zu Tausenden auf der Insel vorkommenden Albatrosküken. Letztere sitzen über einen Zeitraum von mehreren Monaten in ihren Bodennestern und entwickeln sich langsam. Während ihre Eltern sich weit von der Küste auf Nahrungssuche befinden, fallen die Mäuse über den hilflosen und noch flugunfähigen Vogelnachwuchs her und knabbern an ihm herum. An ihren offenen Wunden gehen die Albatrosküken letztendlich zugrunde. Die Gough-Mäuse, die gegenüber ihren Vorfahren von den Britischen Inseln die bis zu dreifache Körpergröβe erreicht hatten (Inselgigantismus ist bei Säugetieren ein häufiges Phänomen) sind damit zu einer erheblichen Gefahr für die seltenen Brutvögel der Insel geworden.

Gough ist 410 km südöstlich von Tristan gelegen. Beide Inseln sind die Schauplätze eines weiteren Ornithologen-Krimis. Hauptdarstellerin ist die Tristan-Inselralle (Gallinula nesostis). Über ihre Existenz herrschte lange Unklarheit. Die wenigen Beobachtungen von Rallenvögeln auf Tristan da Cunha führten zu sich widersprechenden Hypothesen über die Existenz einer dort vorkommenden endemischen Rallenart. Niederländische Wissenschaftler um Dick Groenenberg von der Universität Leiden brachten mit Hilfe molekular-phylogenetischer Methoden schließlich Licht in das wissenschaftliche Dunkel.

Gibt es die Tristan-Inselralle noch?

Die Tristan-Inselralle Gallinula nesiotis wurde erstmals im Jahr 1861 vom britischen Ornithologen Philip Lutley Sclater  wissenschaftlich beschrieben. Das Typus-Exemplar wurde im Londoner Naturhistorischen Museum deponiert, wo sich noch ein weiterer Balg und ein Skelett befinden. In den folgenden Jahren wurde der Vogel immer seltener beobachtet und galt schließlich als ausgestorben. Dreiβig Jahre später wurde die sehr ähnliche, ebenfalls flugunfähige Rallenart (Gallinula comeri) von der Nachbarinsel Gough beschrieben. Unter Zoologen kamen schließlich Zweifel an der Existenz einer eigenständigen Inselralle auf Tristan auf.

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Briefmarken vom Tristan da Cunha – Archipel sind dazu angetan, die Verwirrung um die Existenz einer endemischen Rallenart auf der Insel Tristan zu vergrößern. Quelle: Groenenberg DSJ, Beintema AJ, Dekker RWRJ, Gittenberger E (2008) Ancient DNA Elucidates the Controversy about the Flightless Island Hens (Gallinula sp.) of Tristan da Cunha. PLoS ONE 3(3): e1835. doi:10.1371/journal.pone.0001835

Die Leidener Wissenschaftler um Dick Groenenberg testeten verschiedene Hypothesen zum Verbleib der Tristan Ralle mit molekularen Methoden. Die alten, „authentischen“ Exemplare der Tristan-Ralle Gallinula nesiotis, deren DNA aus den Londoner Bälgen extrahiert wurde, einerseits und die heute auf Tristan lebenden Rallen andererseits sind demnach genetisch unterschiedlich, während die DNA-Sequenzen der letztgenannten mit der auf Gough vorkommenden Rallenpopulation identisch sind.

Die Wissenschaftler kamen letztendlich zu dem Schluss, dass die endemische Tristan-Ralle wirklich existiert hat und im 19. Jahrhundert ausgestorben ist. Heute auf Tristan vorkommende Rallen stammen von der Insel Gough und sind wahrscheinlich im 20. Jahrhundert durch den Menschen nach Tristan eingeschleppt worden. Die heute auf Gough und Tristan lebenden Rallenvögel stellen folglich ein anderes Taxon dar als die ausgestorbene Tristan-Ralle.

Literatur:

Gassmann, D. (2009): Flugunfähige Tristan-Ralle für ausgestorben erklärt. Naturwissenschaftliche Rundschau 736: 541-543.

Gassmann, D. (2010): Von Riesenratten und Zwergelefanten. ZOÓN Nr. 2/2010: 64-67.

Groenenberg DSJ, Beintema AJ, Dekker RWRJ, Gittenberger E (2008): Ancient DNA Elucidates the Controversy about the Flightless Island Hens (Gallinula sp.) of Tristan da Cunha. PLoS ONE 3(3): e1835. doi:10.1371/journal.pone.0001835.

Beintema, A., & Helyer, P. (1997): Het waterhoentje van Tristan da Cunha. Atlas.
Wanless, R. M., Angel, A., Cuthbert, R. J., Hilton, G. M., & Ryan, P. G. (2007): Can predation by invasive mice drive seabird extinctions?. Biology letters, 3(3), 241-244.

Märchenvogel Auerhuhn

Vieles von dem, was wir heute über das Auerhuhn wissen oder von ihm glauben, haben wir den Weidmännern zu verdanken. „Zweifellos sammelt der Jäger auf der Auerhahnbalz sonderbare Eindrücke. Die Natur des dichten, wilden Waldes, die unvermeidlichen Übernachtungen am Lagerfeuer und der seltsame, urtümliche Vogel, der auf wunderbare Weise viele Jahrtausende auf der Erde überlebt hat, entführen den Jäger in eine unbekannte Märchenwelt“, schrieb Sokolov-Mikitov (1973). Also selbst in der russischen Taiga hat der „Urhahn“ die Gefühle und die Phantasie der Jäger angeregt. Das Geheimnisvolle, das in erster Linie auf der mangelhaften biologischen Bildung der Jäger beruhte, wurde mystifiziert und zu einer nur dem Weidmann gebührenden Erfahrung deklariert. Drei bis heute kursierende Märchen über den Auerhahn sollen hier einmal näher besprochen werden.

Märchen 1: Der alte Raufer

Einer der jagdlichen Mythen ist der vom „alten Raufer“, dem stärksten Hahn am Balzplatz. Diesen gelte es zu erlegen, weil er die Junghähne vertreibe und diese dann die Hennen vom Balzplatz weg, d. h. in fremde Reviere führten. In Wahrheit wollten „Jagdexperten“ nur die Erlegung des besten Trophäenhahnes aus biologischer Sicht rechtfertigen. Wie soll denn über Jahrtausende die Arenabalz dieser Vogelart funktioniert haben, bevor der Mensch das Schwarzpulver erfand? Der lange Zeit praktizierte Abschuss der vitalsten Hähne und die damit verbundenen Störungen der Balz haben im Gegenteil den Auerhuhnpopulationen mancher Gebiete sehr geschadet (Klaus et al. 1986, Lieser & Roth 2001).

Märchen 2: Ameisen als wichtige Kükennahrung

„Die Küken brauchen Ameisen als Nahrung“, war meistens die erste Antwort von Freiburger Forststudenten in der Wildökologieprüfung auf die Frage „Was wissen Sie über das Auerhuhn?“ Dieses Märchen beruht auf einem Scheinzusammenhang. Bei früheren Habitatuntersuchungen stellte man nämlich fest, dass sich Auerhennen mit Küken gern dort aufhalten, wo sich Ameisenburgen befinden und zog den o.g. Schluss, ohne den Verzehr von Ameisen durch Auerhuhnküken beobachtet zu haben. Dieser Irrtum setzte sich hartnäckig in der Literatur fest (z.B. Klaus et al. 1986) und führte dazu, dass in Auerhuhnschutzprojekten unnötigerweise Waldameisen künstlich angesiedelt wurden. Bei unseren Versuchen mit handaufgezogenen Küken im Schwarzwald (Zakrzewski 1993) stellten wir niemals das Aufpicken von Ameisen fest, obwohl diese im Angebot waren. Auf der Hand dargebotene Ameisen wurden ignoriert, andere Insekten wie Raupen oder Fliegen dagegen hastig aufgenommen. Die einzige mir bekannte Arbeit, die den Verzehr von Ameisen durch (ebenfalls handaufgezogene) Auerhuhnküken belegt, ist die von Spidso & Stuen (1988). In den Kröpfen wilder Küken (ebenfalls in Südnorwegen) dominierten dagegen mit knapp 80% Larven anderer Insekten (Kastdalen 1986). Ameisen sind also wahrscheinlich keine essentielle Nahrung für junge Auerhühner.

Märchen 3: Infraschall

Ein weiteres Beispiel dafür, wie sich Fehlschlüsse fortpflanzen, ist das Märchen von der Infraschallkommunikation beim Auerhuhn, welches auf der Arbeit von Moss & Lockie (1979) beruht und z. B. von Tschirch (2001) übernommen wurde. Infraschall ist Schall mit Frequenzen <20 Hz, der mit langen Wellen korrespondiert (z.B. 20 Hz mit 17 m, 10 Hz mit 34 m). Zur Erzeugung langer Wellen sind große Resonanzkörper erforderlich, Vokallaute des Kasuars (ca. 50 kg Körpermasse) reichen herab bis 23 Hz (Mack & Jones 2003). Wie soll es da ein solch kleiner Vogel wie der Auerhahn (ca. 5 kg) bis in den Infraschallbereich schaffen? Unsere Messungen mit einem modernen Mikrophon an einem Balzplatz im Schwarzwald ließen denn auch keinerlei Beteiligung von Infraschall an den Stimmäußerungen von Auerhähnen erkennen (Lieser et al. 2005). Und der Infraschall, den Auerhähne bei ihren Flattersprüngen erzeugen, ist vermutlich nur ein physikalisches Nebenprodukt des Flügelschlags und hat keine biologische Bedeutung (Lieser et al. 2006).

Literatur:

Kastdalen, L. (1986): Food selection in capercaillie and black grouse chicks in South-East Norway. – Diss. Univ. Oslo, 68 S.

Klaus, S., Andreev, A.V., Bergmann, H.H., Müller, F., Porkert, J. & Wiesner, J. (1986): Die Auerhühner. – A. Ziemsen Verlag, Wittenberg-Lutherstadt

Lieser, M. & Roth, K. (2001): Auerhuhn (Tetrao urogallus, Linnaeus, 1758) – in: Die Vögel Baden-Württembergs. Bd. 2.2, Ulmer, Stuttgart, 54-77

Lieser, M., Berthold, P., Manley, G.A. (2005): Infrasound in the capercaillie (Tetrao urogallus). J. Ornithol. 146: 395–398

Lieser, M., Berthold, P. & Manley, G.A. (2006): Infrasound in the flutter jumps of the capercaillie (Tetrao urogallus) – apparently a physical by-product. – J. Ornithol. 147: 507-509

Mack, A.L. & Jones, J. (2003): Low-frequency vocalizations by cassowaries (Casuarius spp.). Auk 120: 1062–1068

Moss, R. & Lockie, J. (1979): Infrasonic components in the song of the capercaillie Tetrao urogallus. – Ibis 121: 95-97

Sokolov-Mikitov, I. (1973): Erzählungen eines alten Jägers. Moskau

Spidso, T.K. & Stuen, O.H. (1988): Food selection by capercaillie chicks in southern Norway. – Can. J. Zool. 66: 279-283

Tschirch, W. (2001): Infraschall-Kommunikation bei Vögeln. – Orn. Mitt. 53: 166-171

Zakrzewski, M. (1993): Erfassung der Nahrungsaufnahme von Waldhühnerküken in verschiedenartigen Waldbeständen – eine Methode zur Habitatbewertung? – Dipl.arb. Forstwiss. Fak. Univ. Freiburg, 54 S.

Über die Sandbäder der Vögel

Jeder, der in ländlichen Gegenden aufgewachsen ist, wird schon einmal Haushühner oder Spatzen beim genüsslichen Staubbad beobachtet haben. Ich bin bisher diesem Verhalten in Mitteleuropa außerdem bei Haselhuhn, Auerhuhn, Fasan, Waldschnepfe und Schwarzspecht, in England bei Steinkauz und Merlin und in Grönland beim Alpenschneehuhn begegnet.

Das Sand- oder Staubbaden ist also in der Vogelwelt weit verbreitet. Glutz et al. (1973, 1975, 1980, 1985, 1988) führen es bei folgenden Ordnungen auf: Galliformes (vermutlich alle Arten), Gruiformes (Großtrappe), Charadriiformes (z.B. alle Flughühner, Mornellregenpfeifer), Strigiformes (z. B. Uhu), Caprimulgiformes (Ziegenmelker), Coraciiformes (z.B. Wiedehopf), Piciformes (Schwarzspecht) und zahlreichen Passeriformes (z.B. Feldlerche, Wiesenpieper, Zaunkönig, Schwarzkehlchen). Nach Schmidl (1988) sind die Falconiformes zu ergänzen. Von einer Vielzahl untersuchter Taubenarten (Columbiformes) stellte Nicolai (1962) nur bei dem südamerikanischen Brillentäubchen Sandbadeaktivität fest.

Die Funktion des Staubbadens wird unterschiedlich erklärt. Nicolai (1962) leitet diese Verhaltensweise wegen ähnlicher Bewegungsabläufe aus dem Wasserbaden ab. Durch die mechanische Reinigung des Gefieders von Schmutz und Ektoparasiten trägt das Sandbaden offenbar wesentlich zum Wohlbefinden der Tiere bei (Aschenbrenner 1985, Krätzig 1939, Potapov & Flint 1989).

Da bei sandbadenden Vögeln nicht immer Ektoparasiten gefunden wurden, vermuteten Borchelt & Duncan (1974), dass das Staubbaden den Fettgehalt des Gefieders reguliert und damit dessen Funktionstüchtigkeit sicherstellt. Diese Autoren stellten bei Virginia-Wachteln mit steigender Dauer des Sandbadeentzuges eine signifikante Zunahme der Fettsubstanzen im Federkleid fest. Es scheint also plausibel, dass durch Einstäuben des Gefieders überschüssiges Bürzeldrüsensekret gebunden und abgeschüttelt wird. Da das Einfetten des Gefieders von der Witterung und die Aktivität der Bürzeldrüse vom Lipidgehalt der Nahrung abhängen, vermuten Borchelt & Duncan (1974) einen indirekten Einfluss dieser Faktoren auf das Sandbadeverhalten. Bürzeldrüsensekrete sind Esterwachse aus verschiedenen Fettsäuren und Alkoholen mit hoher Artkonstanz der Zusammensetzung (Bezzel & Prinzinger 1990). Tauben besitzen keine Bürzeldrüse, was mit den o.g. Befunden Nicolais (1962) konform geht. Allerdings fehlt dieses Organ auch den Trappen (Glutz et al. 1973), trotzdem nehmen diese Vögel Sandbäder, auch die Zwergtrappe (Potapov & Flint 1989). Wie wunderbar vielfältig unsere Vogelwelt doch ist, sie lässt immer noch Widersprüche zu und Geheimnisse offen!

Literatur:

Aschenbrenner, H. (1985): Rauhfußhühner – Lebensweise, Zucht, Krankheiten, Ausbürgerung. – Hannover

Bezzel, E. & Prinzinger, R. (1990): Ornithologie. – Stuttgart

Borchelt, P.L. & Duncan, L. (1974): Dust bathing and feather lipid in Bobwhite (Colinus virginianus). – Condor 76: 471-472

Glutz von Blotzheim, U.N. et al. (1973-88):  Handbuch der Vögel Mitteleuropas, Frankfurt a. M.

Krätzig, H. (1939): Untersuchungen zur Biologie und Ethologie des Haselhuhns (Tetrastes bonasia rupestris Brehm) während der Jugendentwicklung. – Ber. Ver. Schlesischer Orn. 24: 1-25

Nicolai, J. (1962): Über Regen-, Sonnen- und Staubbaden bei Tauben (Columbidae). – J. Orn. 103: 125-139

Potapov, R.L. & Flint V.E. (1989): Handbuch der Vögel der Sowjetunion 4. –  Wittenberg Lutherstadt

Schmidl, D. (1988): Dusting in falcons. – J.  Raptor Res. 22: 59-61

Die Beinigkeit der Papageien

Ein Papagei, der beim Fressen scheinbar lässig auf einem Bein sitzt und mit dem anderen das Futter festhält – das ist ein durchaus unterhaltsamer Anblick. Nimmt man sich den sitzenden und gleichzeitig fressenden Papageien aber einmal mit den ernsten Augen der Wissenschaft vor, dann lassen sich Fragen finden wie die folgende: Sitzt der Papagei immer auf dem gleichen Bein? Und wenn ja, ist das artspezifisch? Ist es angeboren, tradiert oder nur eine individuelle Laune?

Viele Menschen werden sich mit dieser Frage noch nicht beschäftigt haben. Dabei gehört sie zu dem Themenkomplex der Rechts-Links-Asymmetrien bei Tieren, die gerade die Evolutionsbiologen immer wieder beschäftigen. Denn sie können für Artbildungsprozesse verantwortlich sein. Man denke nur an Schnecken mit rechts- bzw. linksdrehenden Gehäusen und die daraus resultierenden Einschränkungen für Partnerwahl und Fortpflanzung.

Beinigkeit, Händigkeit und Chiralität
Die Beinigkeit (im Sinne von „Händigkeit“) der Papageien ist sicherlich von geringerer Bedeutung für das Evolutionsgeschehen als der Windungssinn der Schneckengehäuse. Und doch haben sich eine Reihe von Wissenschaftlern damit beschäftigt, die Rechts- beziehungsweise Links-Präferenz der Krummschnäbel zu untersuchen. Schließlich lassen sich auf diese Weise möglicherweise Rückschlüsse auf die biologischen Grundlagen der Rechts- beziehungsweise Linkshändigkeit des Menschen ziehen.

Wilhelm Ludwig (1932) schuf das bis heute wohl einzige grundlegende Werk zum „Rechts-Links-Problem im Tierreich und beim Menschen“. Es stellt eine ausführliche Übersicht des Vorkommens von Rechts-/Linksasymmetrien im Tierreich dar. Als einem von fünf Beispielen aus der Vogelwelt widmet sich Ludwig auch der Beinigkeit der Papageien und zitiert fünf Referenzen, die belegen, dass sich auch vor dem Erscheinen von Ludwigs Buch im Jahre 1932 die Wissenschaftler bereits mit rechts- beziehungsweise linksbeinigen Papageien beschäftigt haben.

Ein spezieller Fall der Links-Rechts-Asymmetrien ist die Chiralität. Objekte oder Organismen, die sich nicht mit ihrem Spiegelbild zur Deckung bringen lassen – unabhängig davon, wie oft man sie auch wendet – werden als chiral bezeichnet. Ein klassiches Beispiel sind die rechte und linke Hand des Menschen oder bestimmte Isomere von chemischen Verbindungen (Molekülen). Das Papageienbein (rechts und links) ist also auch eine chirale Struktur.

Auch Verhaltensweisen können asymmetrisch sein. Und das bringt uns wieder zurück zu den Papageien…

Greifbein und Standbein

Nach Ludwig (1932), der sich dabei auch auf Erkenntnisse seiner Kollegen bezog, nutzen Papageien stets entweder nur das rechte oder das linke Bein als Stand-  bzw. Greifbein. Das heißt: ein Papagei benutzt im Normalfall immer nur das gleiche Bein zum Sitzen und das jeweils andere zum Greifen. Allerdings lässt sich durch Zwang eine Umdressur erreichen. Das Verhältnis der rechts- und links-präferierenden Papageien gibt Ludwig mit ungefähr 50:50 an.

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Dieser Halsbandsittich führt sein Futter mit dem rechten Bein zum Schnabel. © Dirk Gassmann / Süd-West

Circa ein Jahrzehnt nach dem Erscheinen von Ludwigs Buch nahm sich ein später weltbekannter Zoologe dieses Themas an. Bernhard Grzimek, später u.a. Direktor des Frankfurter Zoos, führte Versuche und Beobachtungen zur Händig- und Beinigkeit bei Tieren durch. Dabei widmete er sich auch den Papageien. Im Rahmen seiner Untersuchungen fand er immerhin noch Personen, die in den schwierigen und dunklen Kriegszeiten (das Manuskript wurde wohl 1944 eingereicht) bereit waren, sich mit der Beinigkeit ihrer als Stubenvögel gehaltenen Papageien zu beschäftigen und ein Umfrageformular ausgefüllt zurückzusenden. Das Ergebnis der statistischen Auswertung der an insgesamt 131 Großpapageien durchgeführten Beobachtungen ergab zwar ein leichtes Übergewicht (knapp 60%) der linksbeinigen Papageien. Grzimek räumt aber ein, dass die Ergebnisse bei einer größeren Stichprobe und unterschiedlichen Testbedingungen anders ausfallen könnten und näherte sich Ludwigs (1932) Feststellung an, der von einer „razemischen“ Verteilung (‚Fifty-fifty‘) der links- und rechtsbeinigen Papageien ausging.

Es folgten weitere Händigkeits- beziehungsweise Beinigkeitsuntersuchungen bei Papageien. Bei fast allen 28 Individuen (aus 7 Arten) von Amazonen-Papageien, die Lantermann & Wildschrei (1991) untersuchten, wurde eine 100prozentige Händigkeit festgestellt. Von diesen waren rund gut 60% Links- und knapp 40% Rechtshänder, d.h. die ersteren hielten das Futter mit dem linken, die letzteren mit dem rechten Bein. Das passt sehr schön zu den Ergebnissen von Grzimek (1949).

Im Gegensatz zum Menschen, bei dem die Rechtshänder eindeutig in der Mehrheit sind, erscheinen also die Verhältnisse bei den Papageien mehr oder weniger angeglichen – bei einem leichten Übergewicht der Linkshänder (-beiner). Es wird  im Allgemeinen davon ausgegangen, dass die individuelle Entwicklung der Händigkeit von vielen Faktoren abhängt und dass keine erbliche Disposition zugrunde liegt (Lantermann & Wildschrei, 1991). Hier gibt es aber sicherlich noch Forschungsbedarf.

Die Papageien wird das wohl weniger interessieren. Die Hauptsache ist doch, dass ihnen das Futter, das sie entweder mit dem rechten oder linken Bein zum Schnabel führen, auch schmeckt!

Literatur:

Grzimek, B. (1949). Rechts‐und Linkshändigkeit bei Pferden, Papageien und Affen. Zeitschrift für Tierpsychologie 6(3): 406-432.
Lantermann, W. & Wildschrei, B. (1991) Gefangenschaftsbeobachtungen zum Greifverhalten bei Amazonenpapageien (Amazoninae, Aratingidae). Bonner Zoologische Beiträge 42(1): 47-53.
Ludwig, W. (1932). Das Rechts-Links-Problem im Tierreich und beim Menschen. Julius Springer. Berlin.
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Halsbandsittich (Psittacula krameri). © Dirk Gassmann / Süd-West

Zur Evolution des Vogelzuges

Konstantin Paustowski (1892-1968): Gelbes Licht (Auszug)

In jener Zeit erzählte mir der alte Prochor, Fischer und Korbmacher (in Solotscha beschäftigen sich fast alle Männer im Alter mit dem Korbmachen), ein Märchen über den Herbst. Niemals zuvor hatte ich dieses Märchen gehört – es konnte nur so sein, dass Prochor es sich selbst ausgedacht hatte.

„Schau dich einmal um“, sagte Prochor, während er mit seiner Ahle an einem Bastschuh herumstocherte, „schau genau hin, lieber Mann, wie jeder Vogel mit einer, sagen wir, anderen Lebhaftigkeit atmet. Sieh hin, erkläre. Sonst wird man sagen, du hast umsonst studiert. Zum Beispiel fliegt das Laub im Herbst davon, und die Leute kommen nicht darauf, dass der Mensch selbst in dieser Sache der Hauptschuldige ist. Irgendein Mensch erfand nämlich das Schießpulver. Soll ihn doch sein Feind zusammen mit dem Pulver in die Luft jagen! Ich selbst habe früher mit solchem Zeug herumhantiert. Vor langer Zeit fertigten die Dorfschmiede die erste Flinte und stopften sie mit Pulver. Die Flinte fiel einem Dummkopf in die Hände. Dieser Esel ging durch den Wald und sah Pirole am Himmel fliegen. Die gelben, fröhlichen Vögel flogen umher und zwitscherten, um Gäste einzuladen. Jener Dummkopf schoss aus beiden Läufen nach ihnen – und es rieselte ein goldener Flaum zur Erde herab, fiel auf die Wälder, worauf die Wälder welkten und auf der Stelle die Blätter abwarfen. Das andere Laub, auf welches das Blut der Vögel getropft war, wurde rot und fiel ebenfalls ab. Sicher hast du im Wald schon gesehen, dass es gelbe und rote Blätter gibt. Bis zu jener Zeit überwinterten alle Vögel bei uns. Selbst der Kranich zog nicht fort. Und die Wälder standen sommers wie winters in Laub, Blüten und Pilzen. Und Schnee gab es keinen. Es gab keinen Winter, sag ich dir. Keinen! Wozu in aller Welt hätten wir ihn gebraucht, den Winter, bitteschön? Was hätte uns an ihm liegen sollen?  Der Dummkopf schoss den ersten Vogel – und die Welt fiel in Trauer. Seit jener Zeit gibt es den Laubfall, den feuchten Herbst, die Winde, die die Blätter herunterschlagen, und den Winter – und der Vogel bekommt Angst, fliegt davon und schmäht den Menschen. So kam es, mein Lieber, dass wir uns selbst schadeten. Wir sollten lieber nichts vernichten, sondern alles kräftig schützen.“

„Und was schützen?“

„Nun, sagen wir, die verschiedenen Vögel oder den Wald. Oder das Wasser, damit es durchsichtig bleibt. Alles, Brüderchen, solltest du schützen, doch wenn du mit der Erde verschwenderisch umgehst, wirst du dich in den Untergang treiben.“

(1938, übersetzt aus dem Russischen von Manfred Lieser.)

Auch die Weibchen singen

Allgemein wird angenommen, dass es vor allem die Vogelmännchen sind, die singen. Und auch die Wissenschaft hat die Erforschung des weiblichen Gesangs lange ignoriert. Charles Darwin, Begründer der Evolutionstheorie, degradierte die Weibchen noch zu Zuhörern. Nach seinem Konzept der sexuellen Selektion suchen sich die Weibchen die besten Sänger unter den Männchen aufgrund eigener Präferenzen aus, um im Folgenden mit diesen „Heldentenören“ eine Familie zu gründen. Die Vorlieben der Weibchen wie auch der Wettbewerb zwischen den Männchen führt nach Darwin zu den komplexen und melodiösen Gesängen der Männchen, die uns heute in unseren Gärten und Parks erfreuen.

Ganz so einfach scheint die Sache nun aber doch nicht zu sein…

Singende Amsel (Turdus merula). Der Gesang der Männchen dient der Werbung um die Weibchen und dem Fernhalten von Konkurrenten.
Singende Amsel (Turdus merula). Der Gesang der Männchen dient der Werbung um die Weibchen und dem Fernhalten von Konkurrenten. Bei der Amsel singen aber auch die Weibchen. © Dirk Gassmann / Süd-West

Heute wissen wir nämlich etwas mehr. Vor allem in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten widmeten sich Ornithologen verstärkt den Gesängen der Weibchen. Unter dem Titel „Female songbirds still struggling to be heard“ versuchten Dr. Katharina Riebel (Universität Leiden) und Kolleginnen bereits im Jahr 2005, den Vogelweibchen bei den Ornithologen im wahrsten Sinne des Wortes mehr Gehör zu verschaffen:

http://www.cell.com/trends/ecology-evolution/abstract/S0169-5347%2805%2900131-X

In einer kürzlich erschienenen Studie präsentiert ein internationales Team von Wissenschaftlern eine systematische Revision des Gesangs der Vogelweibchen und rekonstruiert die Situation, wie sie an der Basis des Stammbaums der Singvögel geherrscht haben könnte:

http://www.nature.com/ncomms/2014/140304/ncomms4379/full/ncomms4379.html

Zunächst durchforsteten die Wissenschaftler die wissenschaftliche Literatur über die Singvögel im engeren Sinne (Unterordnung Oscines) und wurden fündig:von 323 Vogelarten, über die gesicherte Informationen erhalten werden konnten zeigten sich 229 Arten aus 34 Familien auch im weiblichen Geschlecht sangesfreudig.

Wurden die Weibchen von der Wissenschaft lange ignoriert?

Der Weibchen-Gesang ist also weiter verbreitet als bisher vermutet. Warum aber wurde ihm bisher so wenig Aufmerksamkeit geschenkt? Neben den traditionellen Vorstellungen von der sexuellen Selektion der Männchen durch die Weibchen haben die Autoren der Studie noch eine weitere  plausible Erklärung parat. Die Mehrzahl der Vogelarten, bei denen Männchen und Weibchen singen, kommt nicht in Europa und Nordamerika vor, also in Regionen, in denen der Großteil der ornithologischen Forschung betrieben wurde, sondern auf der südlichen Erdhalbkugel. Diese wurde aber von Vogelkundlern im Vergleich eher stiefmütterlich behandelt.

Ursprung des Weibchen-Gesangs

Karen Odom (Universität von Maryland, USA) und Kollegen widmeten sich auch der Frage, ob der Gesang in beiden Geschlechtern schon von den ersten Singvögeln praktiziert wurde oder ob er im Verlauf der Evolution der Oscines (Singvögel) erst zu einem späteren Zeitpunkt auftrat. Zu diesem Zweck griff man auf den rekonstruierten Singvogel-Stammbaum von Hugall & Stuart-Fox (2012) zurück. Dieser ist das Ergebnis von molekularen Untersuchungen, bei denen die Erbsubstanz (DNA) der entsprechenden Vogelarten miteinander verglichen wurde. Indem man nun die Daten zum Weibchen-Gesang mit den Verwandtschaftshypothesen innerhalb der Singvögel verglich, konnte man mit Hilfe verschiedener Analysemethoden den ursprünglichen Zustand am Anfang der Evolution der Singvögel rekonstruieren. Das Ergebnis: Mit über 90ig-prozentiger Wahrscheinlichkeit war der Vorfahre der heutigen Singvögel ein Sangeskünstler im doppelten Sinne: nicht nur das Männchen trällerte sein Lied, sondern auch das Weibchen.

Vor 100 Jahren: Bahnbrechende Forschungen am Haubentaucher

Hundert Jahre liegt es nun schon zurück, da erschien in den Verhandlungen der Zoologischen Gesellschaft London ein Meilenstein der Ornithologie und Verhaltensforschung: Julian Huxley (1887-1975) veröffentlichte im Jahre 1914 die Ergebnisse seiner Forschungen über das Balzverhalten von Haubentauchern (Podiceps cristatus). Über einen Zeitraum von vierzehn Tagen lag der englische Biologe mit Fernglas und –rohr mehr oder weniger ununterbrochen auf der Lauer, um das Verhalten dieser Lappentaucherart für die Wissenschaft zu dokumentieren. Wer selbst einmal Zeuge des Balzverhaltens der im männlichen und weiblichen Geschlecht fast gleichgefärbten Vögel geworden ist, wird dieses eindrucksvolle Schauspiel so schnell nicht vergessen.

Ein immer wiederkehrendes Verhalten ist das beiderseitige „Kopfschütteln“, wobei sich Männchen und Weibchen gegenüber stehen. Eingeleitet wird die Zeremonie, die bis zur Paarung immer wieder aufgeführt wird, durch Drohgebärden. Im Folgenden gibt es Tauchmanöver, bei denen ein Partner plötzlich vor dem anderen aus dem Wasser steigt und der andere eine drohgebärdenähnliche „Katzenhaltung“ einnimmt. Spektakulärstes Element ist der „Pinguintanz“ bei dem Männchen und Weibchen Bauch an Bauch, und mit Nistmaterial im Schnabel, im Wasser stehen und mit den Schwimmfüßen platschen. Huxley wendete auf die eindrucksvollen Schauspiele der Haubentaucher den Begriff der Ritualisierung an. Verhaltensweisen aus anderen Lebensbereichen wie dem Nestbau werden in formalisierter und wiederholter Weise dargeboten und besonders betont, werden als „Intentionsbewegungen“ nur angedeutet, aber nicht zu Ende gebracht und damit ihres ursprünglichen Zweckes völlig entfremdet. Der Partner antwortet seinerseits in einem festgelegten Schema, Rollentausch inbegriffen.

Stadien des Paarungsvorspiels des Haubentauchers. Zeichnungen: Woodward/Huxley (1914)

Dieses ritualisierte Verhalten dient nach Huxley der Arterhaltung, denn es fördert die Kommunikation zwischen den Vögeln sowohl innerhalb als auch außerhalb der Art, regelt das Verhalten zwischen Individuen innerhalb der Fortpflanzungsgemeinschaft und verstärkt die Paarbindung der Haubentaucher. So wird Schaden von der Art abgehalten. Und so lässt sich denn auch die Entstehung dieses grandiosen Schauspiels der Haubentauber im Sinne von Darwins Theorie der natürlichen Auslese erklären. Seine Verwunderung über die Tatsache, dass Haubentauchermännchen und -weibchen bei ihrem Paarungsvorspiel fast völlig „emanzipiert“ erscheinen, brachte Huxley allerdings ins Grübeln über Darwins Konzept der sexuellen Selektion, bei dem nur einer der Partner, meistens das Weibchen, die Partnerwahl bestimmt. Als eine Möglichkeit für die Evolution gleichgefärbter Geschlechter galt seinerzeit, dass die sexuelle Selektion zunächst zur Ausprägung des männlichen Balz-„Outfits“ führen und über die gemeinsame genetische Grundausstattung von Männchen und Weibchen einer Art auch bei letzterem etablieren könnte. Huxley führte stattdessen eine andere Möglichkeit an und prägte den Begriff der ‚mutual sexual selection‚, also der wechselseitigen sexuellen Selektion. Dabei gibt es sowohl unter den Männchen, als auch unter den Weibchen einen Wettbewerb um die jeweils attraktivsten Vertreter des anderen Geschlechts, und die erwählten Tiere geben in der Folge ihre Gene an die Nachkommen weiter.