Ornithodeutsch 1

Und als ich die deutsche Sprache vernahm, da ward mir seltsam zumute… (Heinrich Heine, Deutschland – ein Wintermärchen, 1844)

 Tautologien

Eine Tautologie bezeichnet dieselbe Sache durch mehrere Ausdrücke. So sagte Helmut Kohl einmal, er wolle wieder verstärkt mit Südafrika zusammenarbeiten, vor allem im ökonomisch-wirtschaftlichen Bereich. Häufig werden (wie in diesem Fall) bei der Bildung von Tautologien deutsche Wörter mit geläufigen Fremdwörtern kombiniert oder einem englischen Modewort beigefügt (Candlelightdinner bei Kerzenschein). Aber es gibt auch Bildungen, die nur aus deutschen Wörtern bestehen (unbekannter Fremder). Tautologien sind unnötig, verschwenden Druckraum, erschweren das Lesen und täuschen manchmal Fachkompetenz oder Professionalität ihres Benutzers vor. Der Verfasser  hat eine Reihe von Tautologien in der Ornithologensprache gefunden und über Jahre hinweg gesammelt.

Der Klassiker darunter ist das einzelne Individuum. Jeder Zoologe wird auf die Frage, was Individuum heißt, Einzeltier sagen. Niemand würde aber von einem einzelnen Einzeltier sprechen. Nur vor das Fremdwort Individuum (lat. das Unteilbare) setzt man das deutsche Wort einzeln, manchmal sogar im Plural (einzelne Individuen), wodurch die Tautologie zusätzlich einen paradoxen Charakter erhält. Stattdessen könnte man sagen nur wenige der untersuchten Vögel oder ähnlich. Häufig liest oder hört man Begriffe wie durchschnittlicher Mittelwert, verschiedene Varianten, grundlegendes Prinzip, seltene Rarität oder territoriales Revierverhalten. In einem Projekt, das von einer projektbegleitenden Arbeitsgruppe begleitet wurde, hat man eine nicht genau bekannte Dunkelziffer an Haselhühnern im Schwarzwald festgestellt, der übrigens eine isolierte Verbreitungsinsel dieser Vogelart ist (oder besser war). Neben den Flugvolieren eines renommierten Institutes konnte man lange Zeit auf alten Tagungspostern Begriffe wie Stoffwechselmetabolismus oder nicht ziehender Jahresvogel lesen. Doch dieses schlimme Deutsch ist dort vorbei, die neuen Poster sind auf Englisch. Ein Mitarbeiter besagten Hauses schrieb in einem Standardwerk der Ornithologie, dass die meisten Vögel eine Postnuptialmauser nach Brutende machen und viele Arten in der Sahelzone südlich der Sahara überwintern. Ein Artikel in einer Fachzeitschrift trug kürzlich den Titel Zur Lage und Situation des Uhus in Thüringen. Diese Vogelart ist übrigens ab und zu Gelegenheitsgast in manchen Gebieten, in anderen stellt ihre extrem hohe Dichte einen Maximalwert dar. Domestizierte Haustiere sind eine ausnahmsweise aufgenommene Gelegenheitsbeute. Manche weitverbreitete Allerweltsart kommt weltumspannend global vor, andere Arten trifft man nur auf dem kontinentalen Festland an. In bezug auf die olfaktorische Geruchswahrnehmung haben Vögel eine intermediäre Zwischenstellung unter anderen Organismengruppen. Deskriptive Beschreibungen reichen in der modernen Forschung nicht mehr aus, stattdessen werden empirische Versuche mit cross-sektionalen Querschnittsanalysen ausgewertet und sogar die Dezimalen hinter dem Komma diskutiert. Weitere exemplarische Beispiele für Tautologien ließen sich in beliebiger Zahl anführen.

 

Ein Gedanke zu “Ornithodeutsch 1

Hinterlasse einen Kommentar